Neues aus dem Märchenland

 

Es ist nicht unbekannt,

das Märchenland.

Von Lug und Trug

gibt’s nie genug

und Disney-World, so honigsüß,

verspricht trotz Armut hier das Paradies.

Wer wird da wohl kritisieren

und das Amiland düpieren?

 

Ernst sehen sie aus, die beiden kleinen Mädchen. Neun Jahre alt sind sie und schon mit den Verboten ihres Landes konfrontiert. Das dunkelhäutige Mädchen hält in den Händen ein aufgeschlagenes Märchenbuch, das eine Illustration aus dem Märchen „Rotkäppchen" zeigt, das hellhäutige hält ein funkelnagelneues Maschinengewehr (in echt) auf dem Schoß und hat es vermutlich gerade geladen, wenn man die Haltung richtig deutet.

Das Foto ist untertitelt mit dem Satz:

 

"Eines dieser Kinder hält etwas in der Hand, das in den USA verboten ist, um es zu schützen. Raten Sie mal, welches."

 

Damit das schon mal klar ist - das Maschinengewehr ist es nicht.

Es ist - natürlich! - das Märchenbuch, und hier insbesondere das Märchen vom „Rotkäppchen". Ich finde das logisch. So eine grausame Geschichte. Da wird erst ein Kind im Wald vom Bösen schlechthin verfolgt und verführt, vom Wege abzugehen. Und eine liebe alte kranke Großmutter wird dann von eben diesem Bösen einfach aufgefressen.

 

Oder ist der Grund eher darin zu suchen, dass Wildtierschützer sich daran stoßen, dass der Wolf später von einem um sich ballernden Jäger zur Strecke gebracht wird? Schließlich kommt das grässliche Kind noch auf die Idee und füllt dem Wolf den Leib voller schwerer Steine, so dass dieser - immer noch nicht tot - nun endlich umfällt, weil er mit dem Gewicht nicht mehr laufen kann. Ganz schlechtes Vorbild für die Kinder von heute; das darf man den Kindern nicht antun, wie ich finde.

 

Wir haben schließlich in den 68ern und später nicht umsonst gegen die „Grausamkeit" der Märchen demonstriert. Bis wir irgendwann darauf kamen, dass Kinder von Serien wie „Bugs Bunny" mit zermatschten Zeichentrickfiguren durchaus keine Alpträume hatten. Da waren die Märchen hier wieder erzählbar. Wenn sie auch eine ganz eigene Moral hatten, die allerdings dem Zeitgeist der Brüder Grimm geschuldet war.

 

Mit den Neuverfilmungen hielten sie dann wieder Einzug in den Alltag. Vom bezaubernden „Schneewittchen", das mit ganz eigenem Lebensgefühl im Wald ihrer Bestimmung nachgehen konnte, über die Otto-Verfilmung der „Sieben Zwerge" bis zum neuesten Film von „Hänsel und Gretel" (verfilmt von Paramount!) war alles vertreten. Ich möchte hier jetzt nicht darüber diskutieren, was denn für welches Alter gedacht ist und dass Hexen weiterhin diskriminiert werden, aber immerhin.

 

Interessiert an den Hintergründen des oben näher beschriebenen Fotos las ich den Artikel. Ich hätte es mir ja denken können. Es ist natürlich das Märchen vom „Rotkäppchen", aber die Gründe sind nicht die, die ich vermutete.

 

Sieht man sich die Illustration im Buch an, werden die Erinnerungen wach an die eigene Kindheit. Als meine Mutter mir das Märchen vorlas und zu der Stelle kam, an dem vom Rotkäppchen und dem mitgeführten Korb berichtet wurde, erklärte sie mir, dass der Korb „Wein und selbstgebackenen Kuchen" enthielt. Für die arme alte Großmutter. Zur Stärkung. Im Märchen ist nicht die Rede davon, welcher Art der Wein ist (und auch das Kuchenrezept ist nicht angegeben). Hier kann man nur mutmaßen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es sich um einen guten Kräuterwein handelt, der allerlei Ingredienzien zur Heilung enthält. Und vielleicht enthielt der Kuchen ähnliche Zutaten; man denke nur an die gewissen Kekse, die alle Schmerzen fortblasen.

 

Wie dem auch sei, die Gebrüder Grimm haben hier leider keine genauen Angaben gemacht. Ich wies weiter oben schon darauf hin, dass sie im Zeitgeist schrieben und manches war damals nicht für das allgemeine Volk bestimmt. Ich vermute, dass deshalb genaue Rezeptangaben fehlen.

 

Hätten sie dabei gestanden, wäre es im Amiland jetzt nicht zu einem Verbot gekommen, darauf möchte ich wetten (oder vielleicht gerade deshalb?).

 

Das „Rotkäppchen" ist nun im Bundesland Kalifornien auf den Index der verbotenen Bücher geraten, weil - und jetzt bitte ich die treuen Leser der edition hollerbusch darum, tapfer zu sein, an sich zu halten und nicht gleich einem Rumpelstilzchen (das kommt auch noch irgendwann dran!) per Strampf-Fuß durch den Boden zu fahren - das nämliche Rotkäppchen eine Flasche Wein offen zur Schau mit sich führt. DAS ist in Amiland nämlich verboten. Nicht das Trinken an sich, aber das Mitführen von Getränken, denen man ansieht, wes Geistes Kind sie sind.

 

Hätte also unser „Rotkäppchen" selbige Flasche in einem braunen Packpapier-Beutel im Korb gehabt - es wäre nichts geschehen.

 

Besagtes Foto ist im Übrigen Teil einer „Moms demand Action" - Kampagne gegen Waffengewalt und man kann diese Mütter-Aktion nur begrüßen, betrachtet man das letzte Halbjahr in den USA.

 

8. Juni 2013 - Amoklauf in Kalifornien: Blutbad auf offener Straße. Vier Menschen sterben.

 

21. Januar 2013 - Teenager erschießt eigene Familie

 

15. Dezember 2012 - Bei einem der schlimmsten Massaker in der Geschichte des Landes bringt ein 20-Jähriger in einer Grundschule in Connecticut 20 kleine Kinder und 6 Schulbedienstete um.

 

21. Juli 2012 - Vier Waffen, 6000 Stück Munition und Sprengfallen in der Wohnung: James Holmes hatte seine Tat minutiös geplant. Amerika rätselt über das Motiv des Studenten, der zwölf Menschen in der Batman-Premiere erschoss und sich als "Joker" verkleidet hatte.

 

(Die Liste ist nicht vollständig; ich habe nur aufgehört, im Internet weiter zu suchen....)

 

Nachsatz

 

Der dänische Märchenerzähler Hans Christian Andersen (1805 bis 1875) hatte in den USA mit einem anderen Problem zu kämpfen. Um die Kinder vor unzüchtiger Literatur zu bewahren, mussten seine Märchen 1954 in Illinois mit einem Aufdruck versehen werden, der darauf hinwies, dass das Buch nur für Erwachsene geeignet sei.

 

(Anm.d.Verf.: Vermutlich, weil der Kaiser in „Des Kaisers neue Kleider" sich nackig machte?)

Juni 2013