An Samstagen wie diesem
Samstage sind die gemütlichsten Tage der Woche. Das Wochenende liegt noch vor einem und die Arbeit ist – wenns am besten läuft – schon erledigt. Da ist ein ausgiebiges Frühstück angesagt und ein guter Schwatz mit dem Liebsten. Vielleicht eine kleine winzige Planung für die nächsten Tage, hier und da ein Stäubchen von der Jacke schnippen und – wenn's einen überkommt – einen Spaziergang an der frischen kalten Luft machen. Durch den Tag trödeln, das Telefonklingeln bis zum AB abwarten, wer denn da am anderen Ende ist und zur Haustür gehen, wenn man Post erwartet. Manchmal ergeben sich Einblicke in andere Sphären, mit denen man morgens noch nicht gerechnet hat.
Es klingelt. Ich erwarte Post. Also geh ich an die Tür und frage durch diese wunderbare Einrichtung der Gegensprechanlage nach dem Begehr. Eine junge Frauenstimme:
„Hallo, entschuldigen Sie bitte die Störung, ich wollte etwas in den Briefkasten von (einer Nachbarin) werfen. Ob Sie so nett sind und mir öffnen?“
Ich bin nett. Immer. Also drück ich das „Sesam-öffne-dich“ der modernen Art und öffne damit Tür und Tor. Einer Lügnerin, wie sich schnell herausstellt. Denn mitnichten hat sie eine Briefkastenwurfsendung für eine Nachbarin.
Aber ich will dem Geschehen nicht vorgreifen. Um die Ecke, die sich zwischen meinem Blick und der Haustür befindet, schieben sich zwei frauliche Gestalten. Die eine ganz freundlich dreinschauende junge Frau – also passend zur Stimme -, die andere das Gegenteil. Eher Typ Betschwester in Grau mit Dauerwelle auf dem Kopf – auch in grau. Böse Ahnungen spielen sich in meinem Kopf ab und legen sich auf meine Fußmatte, die gleich darauf von den Füßen der beiden Frauen getreten wird.
Die junge Frau hebt an:
„Entschuldigen Sie bitte“ (nochmal? Nee!), „ja, wir hier" sie setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf, „so ganz fremde Gesichter. Wir kennen uns noch gar nicht.“
Da musste ich ihr schlichtweg recht geben, aber ich hatte da so meine Erfahrungen. Gleich würde ich sie kennenlernen. Ich sollte recht behalten.
Sie stellt sich mit Namen vor und redet, bevor ich noch 'papp' sagen kann, munter weiter. In der Hand hält sie ein Vierfarb-Blatt, dessen Aufdruck und Inhalt ich nicht erkennen kann, weil sie es - mit Absicht? - bis zur Unkenntlichkeit zu einer Rolle geformt hat.
Die Junge sagt mit ihrer samtenen Stimme:
„Wir möchten Sie gern zu einer Gedenkfeier einladen.“
In meinem Kopf überschlagen sich die Lang- und Kurzzeitgedächtnisse der letzten Tage. War jemand, den ich kannte, verstorben? Aus der Nachbarschaft? Hatte ich das womöglich vergessen“
An meinem Stirnrunzeln muss sie meine Verzweiflung ob meiner Vergesslichkeit gespürt haben, denn sie kommt rasch zur erweiterten Ausführung ihres Anliegens.
„Wir möchten Sie zur Gedenkfeier zum Todestag von Jesu Christi einladen.“
Ach so. Mein Innerstes atmet auf, meine schon verspannten Schultern lockern sich.
„Ah“, sage ich und warte ab, was noch kommen mag.
Sie führt weiter aus: „Ganz in Ihrer Nähe haben Sie die Möglichkeit, an dieser Gedenkfeier teilzunehmen. Ein paar Straßen nur, am kommenden Sonntag.“
Nun ist es Zeit ihr darzulegen, dass sie ihre Zeit anderswo vielleicht besser und lohnbringender einsetzen kann. Ihre ältere Begleiterin steht derweil zwei Schritte hinter ihr und lächelt eines dieser eingefrorenen Lächeln, was man in langen Stunden der Kasteiung und Entbehrung menschlichen Frohsinns lernen kann. Die Augen dazu lächeln nicht. Sie starren – starren mich an. Unentwegt.
Ich erkläre der Jüngeren nun, dass ich auf ganz anderen Ebenen der Religion zu Hause bin und will mich verabschieden, aber sie ist jung und wissbegierig und möchte nun durchaus gern wissen, wer denn meine Götter sind.
Ich habe heute gute Laune - wie gesagt: es ist Samstag -, deshalb setze auch ich das Gespräch fort.
„Nun“, sage ich, „Götter habe ich eher nicht. Meine Göttin ist die Mutter Erde in ihrer Ganzheit.“
„Aha, die Mutter Erde“, entgegnet sie.
Ich erzähle ihr, dass ich an Gedenkfeiern für Jesu Christi nun nicht so sonderlich interessiert sei und mein „Oster-Fest“ zu Ehren der jungen Frühlingsgöttin, die Ostara heiße, schon am 20. März gefeiert hätte.
Und nun werde ich armes Heidenkind aber aufgeklärt!
„Aber das ist ja wunderbar. Der 20. März ist der eigentliche Todestag von unserem Herrn Jesu Christ. Wir – und Sie werden das sicher schon gemerkt haben – sind auch nicht mit allem, was die christliche Kirche macht und tut, einverstanden. Wir sind Zeugen Jehoves und wir feiern Ostern auch nicht wirklich.“
Ich möchte nun meinerseits mit Aufklärungen nicht zurückstehen.
„Das Osterfest basiert auf dem Frühlingsfest und der Name geht auf die Göttin Ostara zurück, hier wie anderswo. Zumal die Kirche den Todestag von Jesus ja nun andauernd an einem anderen Wochenende feiert. Das allein scheint mir unstimmig.“
Die junge Frau stimmt mir lebhaft zu. Aber sie hat auch für meine Ostara-Deutung die Erklärung.
„Die Kirche hat das extra gemacht. Das Fest Ostern genannt, damit die Ungläubigen ihr Fest weiterfeiern können.“
„Ach“, sagte ich, nun völlig verblüfft und auch ein wenig ärgerlich, „für die Ungläubigen? Das waren keine Ungläubigen. Sie hatten ja einen Glauben.“
„Nein, nein, missverstehen Sie mich nicht. Natürlich nicht die Ungläubigen, ich meinte die Heiden.“
Das wurde nun immer besser. Ich teilte ihr meinen Standpunkt mit.
„Mit anderen Worten: Die Kirche war so großzügig und hatte ein Einsehen mit den Heiden, weil die ihr Fest sonst nicht mehr feiern können?“
„Ja, genau so war es. Das hätte man ja nicht gewollt. Den Heiden alles zu nehmen. Wir Jehovas feiern Ostern auch nicht.“
Ich war einigermaßen verblüfft.
„Ostern gehört zu den Festen, die in der Bibel gar nicht vorkommen.“
Und dann erklärte sie mir, woher der Name Ostern eigentlich stammt. Und sie erklärte mir damit eine Sache, die ich längst wusste. Ostern – Ostara. Hatte ich das nicht gerade vor zwei Minuten auch gesagt?
Sie erzählte mir weiter, dass Gott den gläubigen Menschen verboten hatte, Ostern zu feiern, weil die Göttin eine heidnische sei und man könne leicht erkennen, wes Geistes Kind sie gewesen wäre (wandelte sie auf Erden?). Sie habe sich mit allerlei unchristlichen Symbolen geschmückt, mit Eiern und Hasen und manchmal sei sie auch obszön dargestellt worden, als Fruchtbarkeitsgöttin.
Ach nee, nicht? Ich war erstaunt ob dieses Wissens und merkte, dass sich in meinem Innersten ein Schmunzeln aufbaute. Die Sache begann, mir Spaß zu machen.
„Die Kirche hat dem Fest, welches hier und anderswo das Frühlingsfest zu Ehren der Göttin Ostara war, schlichtweg Ostern genannt und den Tag verlegt, DAMIT die Menschen nicht alles verlieren? Das ist nun interessant. Ich habe gelernt, dass die Kirche das Osterfest mit Absicht so genannt hat, damit die Menschen nach und nach ihrem eigenen Glauben abschwören. Die Christen haben außerdem die „heiligen Haine“ und einzelne „heilige Bäume“ vernichtet oder ihre Kirchen genau an den Orten aufgebaut.
Ich sage Ihnen was, ich habe absolut nichts dagegen, dass Sie einen anderen Glauben haben als ich. Aber denken Sie nie, mein Glaube wäre weniger wert, nur weil Ihre Kirchen überall Türme, Klöster und anderes in die Landschaft stellen und womöglich über heiligen alten Stätten errichten. Nur möchte ich Ihre wertvolle Zeit nicht in Anspruch nehmen. Ich bin sicher, Sie haben anderswo mehr Erfolg. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Samstag.“ Damit zeigte ich unmissverständlich das Ende unseres Gespräches an. Sie war sehr höflich. Sie verabschiedete sich, bedankte sich für das „gute Gespräch“ und drehte sich dem Ausgang zu. Ihre gesichtseingefrorene Begleiterin tat es ihr nach.
Ich konnte mich wieder meinem ruhigen Samstag hingeben und diese kleine Geschichte mal eben aufschreiben. So kommt es, dass die oben erwähnten Samstage ihre Lichtblicke und Einsichten haben, mit
denen man am Morgen noch nicht gerechnet hat.
Einen gemütlichen Samstag in die Runde!