Über Langzeitarbeitslosigkeit und ihre Folgen.
Referat ausgearbeitet und vorgetragen vor Schülerinnen und Schülern der GRONE-Schule, Ergotherapeuten, Juli 2006
Lassen Sie mich mein kleines Referat mit einer Anekdote beginnen.
Eine Arbeitslose bewirbt sich als Reinigungskraft bei IBM
Der Personalleiter lässt sie einen Test machen (den Boden reinigen),
darauf folgt ein Interview und schließlich teilt er ihr mit:
"Sie sind bei IBM eingestellt. Geben Sie mir Ihre E-Mail-Adresse, dann schicke ich Ihnen die nötigen Unterlagen". Die Frau antwortet ihm, dass sie weder einen Computer besitzt noch eine E-Mail hat. Der Personalmensch antwortet ihr, dass sie ohne E-Mail-Adresse virtuell nicht existiert und daher nicht angestellt werden kann.
Die Frau verlässt verzweifelt das Gebäude und erhält 10$ für die Reisekosten. Viel mehr hat sie auch nicht in der Tasche. Sie muss noch einkaufen und beschließt, in den nächsten Supermarkt zu gehen. Dort entdeckt sie, dass dort die Tomaten nur 1 $ das kg kosten, viel weniger als bei ihr zu Hause. In einer Blitzidee kauft sie 10 kg Tomaten. Dann geht sie bei sich zu Hause von Tür zu Tür und verkauft sie wieder. Innerhalb von 2 Stunden verdoppelt sie so ihr Kapital. Sie wiederholt die Aktion dreimal und hat am Ende 160 $.
Sie realisiert, dass sie auf diese Art und Weise ihre Existenz bestreiten kann, also startet sie jeden Morgen und kehrt abends spät zurück. Jeden Tag verdoppelt oder verdreifacht sie ihr Kapital. In kurzer Zeit kauft sie sich einen kleinen Wagen, dann einen Lastwagen und bald verfügt sie über einen kleinen Fuhrpark für ihre Lieferungen. Innerhalb von 5 Jahren besitzt sie eine der größten Lebensmittelketten der USA. Sie beschließt an ihre Zukunft zu denken und einen Finanzplan für sich und ihre Familie erstellen lassen. Sie setzt sich mit einem Berater in Verbindung und er erarbeitet einen Vorsorgeplan.
Am Ende des Gesprächs fragt der Vertreter sie nach ihrer E-Mail-Adresse, um ihr die entsprechenden Unterlagen schicken zu können. Sie antwortet ihm, dass sie nach wie vor keinen Computer und somit auch keine E-Mail-Adresse besitzt. Der Versicherungsvertreter schmunzelt und bemerkt: "Kurios - Sie haben ein Imperium aufgebaut und besitzen nicht mal eine E-Mail-Adresse. Stellen Sie sich mal vor, was Sie mit einem Computer alles erreicht hätten!" Die Frau überlegt und sagt: "Ich wäre Putzfrau bei IBM".
Diese Anekdote soll nicht die alte Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär wieder aufleben lassen, obwohl ich auch die hätte erzählen können. Es geht mir dabei darum, gleich zu Beginn eine wesentliche Sache, die symptomatisch für viele Langzeitarbeitslose ist, darzustellen:
Den Verlust der Kreativität.
Auch, wenn unsere Tomatenverkäuferin mehr durch Zufall darauf gekommen ist, dass ihr Lebensunterhalt nicht mehr gefährdet ist, auch wenn es mit dem Putzjob bei IBM oder anderswo nicht geklappt hat, so hat sie doch eine Gelegenheit beim Schopf gepackt.
Langzeitarbeitslosigkeit und Langzeitbeschäftigungslosigkeit sind zwei Indikatoren zur Messung von lang anhaltender Arbeitslosigkeit und einer Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt.
Wir lesen in Zeitungen und hören in den Nachrichten, dass Hamburg 80.455 Arbeitslose hat. Das ist im Bundesdurchschnitt eine Quote von 9% (Stand: Mai 2007) und eigentlich nur eine Zahl. Doch was ist eigentlich Arbeitslosigkeit überhaupt?
Dieser Begriff ist vom Charakter her vieldeutig, bezeichnet jedoch heute ausschließlich den Zustand, in dem ein Mensch sich befindet, der ehemals einer entgeltlichen Beschäftigung nachging, die er nun nicht mehr hat.
Arbeitslosigkeit trat demnach erst auf, nachdem Menschen in Lohn und Brot standen, soll heißen: Erst, wenn Menschen für eine Tätigkeit „entlohnt" - nicht „belohnt" - werden, und diese Beschäftigung verlieren, werden sie dem heutigen Sinn nach arbeitslos.
In Deutschland existiert das Wort „arbeitslos" erst seit Beginn einer Wirtschaftskrise im Jahre 1890.
Menschen, die Eigenversorger sind - egal, in welchem Land - werden nicht „arbeitslos". Daraus will ich nun nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass es ihnen schon per se besser geht, und dennoch: Ein Mensch, der vom Lohn abhängig ist, ist auch von dem Lohngeber abhängig. Und nicht immer nur von seinem direkten. In der Verflechtung der Wirtschaft und Industrie der heutigen Zeit werden Menschen arbeitslos, die gar nicht unmittelbar von fehlenden Aufträgen abhängen. So können Großunternehmen Teile ihrer jeweiligen Werke schließen, um anderswo mehr Gewinn zu machen bzw. ein anderes Werk zu sanieren. Die von der Schließung betroffenen Menschen werden arbeitslos, weil sie in den seltensten Fällen von Pontius nach Pilatus übersiedeln können oder wollen. So ein von einer Schließung Betroffener kann eben nicht einfach zum Nebentisch und dort eine Arbeit fortsetzen, er wird arbeitslos.
Heutzutage loben wir Bismarck, dessen Gesetzgebung ich als bekannt voraussetze und denken dabei nicht daran, dass diese Gesetzgebung als notwendig erachtet wurde, nachdem die Industrialisierung begonnen hatte. Erst mit der „fremdbestimmten Arbeit" in diesem Ausmaß wurde es notwendig und unerlässlich, die Arbeiterschaft weitestgehend abzusichern, aber auch „bei Laune" zu halten.
Noch ein paar aktuelle Zahlen:
In Hamburg sind aktuell 18.600 Arbeitslose über 50 Jahre alt.
Bei den jungen Erwachsenen unter 25 sind 6.400 arbeitslos gemeldet.
Frauen sind mit 36.500 an der Quote beteiligt.
Immerhin gibt es zur Zeit „nur noch" 30.800 Langzeitarbeitslose in Hamburg (Stand 2010)
In einer Zeit, in der sich Statistik-Freaks einen Namen machen, ist es vermutlich vordergründig verwunderlich, dass es keine Statistik über die Anzahl bzw. die Auswirkung der Langzeitarbeitslosigkeit auf die Psyche gibt. Hintergründig ist das auch gar nicht gewollt. Es würde vermutlich dazu führen, dass man sich ganz andere Gedanken über diese Gruppe von Menschen machen müsste, als es bisher geschieht. Auf der anderen Seite wäre es auch nicht wünschenswert, weil dies zu einer noch größeren Stigmatisierung eines Menschen führen könnte, würden seine Daten hinsichtlich der Psyche in Verbindung mit der Arbeitslosigkeit auch noch gespeichert.
Dieser Exkurs war meines Erachtens nach notwendig, um die Thematik von der richtigen Seite her anzugehen. Denn bei all den Absicherungen, die Menschen in Lohn und Brot durch die genannte Gesetzgebung haben: Eines wird dabei meist außer Acht gelassen:
Es ist nicht in erster Linie der finanzielle Einbruch, der den arbeitslosen Menschen zu schaffen macht, auch, wenn sie plötzlich mit nur etwas mehr als der Hälfte ihres bisherigen Einkommens ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen (und wenn sie länger arbeitslos sind, haben sie noch nicht einmal mehr diese Hälfte), es sind vielmehr die Widrigkeiten, die mit einer langen Arbeitslosigkeit einhergehen.
Ich nenne den Verlauf in einer Arbeitslosigkeit die
Ampel-Entwicklung
Für Menschen, die einen Arbeitsplatz haben, der ihnen das notwendige Geld einbringt, um den Lebensunterhalt zu sichern und darüber hinaus es auch angenehm zu gestalten, stehen die Ampeln auf Grün. Und zwar in jeder Hinsicht.
Dieser Mensch hat einen geregelten Tagesablauf; er muss sich nicht sorgen um das tägliche Brot; er kann, wenn er will, eine Kino- oder eine Fußballveranstaltung besuchen. In der Regel kann so ein Mensch mit einem Urlaub den notwendigen Tapetenwechsel herbeiführen, der es ihm ermöglicht, mit neuer Energie an den Arbeitsplatz zurückzukehren.
Selbst, wenn die Arbeit ihm wenig Vergnügen bereitet - das ist ja leider oft der Fall, denn nicht alle Menschen sind da, wo sie - könnten sie es sich aussuchen - sein würden, so wissen sie: Am Ende eines jeden Monats ist das Konto wieder gedeckt und der Lebensunterhalt gesichert. Wenn alles gut läuft.
Heute ergreifen viele Menschen einen Beruf, der schon wenige Jahre später ihnen nicht mehr zusagt. Ist es ihnen möglich, andere neue Wege zu gehen, umso besser.
Wie wir alle wissen, steht es mit dem Arbeitsmarkt in deutschen Landen nicht zum Besten, mal abgesehen von einem kleinen Konjunkturanstieg zum jetzigen Zeitpunkt. Auf den internationalen Arbeitsmarkt gehe ich in diesem Zusammenhang nicht ein. Wir haben zu diesem Thema heute ein Meer mit Begrenzung, wenn ich das mal so nennen darf.
Arbeitslosigkeit ist ein Stück verlorenes Leben, wenn sie andauert.
Verliert ein Mensch seine Arbeit - nehmen wir mal an, der Betrieb bedauert und entlässt - ist der Fall sofort tief. Mag sein, zu Beginn steht die Ampel weiterhin auf Grün, weil der nun Arbeitslose sich sagt: Hach, ich bin fähig und werde schon einen anderen Arbeitgeber finden. Mag auch sein, er genießt es sogar zu Beginn, seinen Tag mal anders zu gestalten, ähnlich einem Urlaub. Doch das hält nicht lange vor.
Die bisher grüne Ampel schaltet auf Gelb, was im Straßenverkehr gleichbedeutend mit „Achtung" oder „Vorsicht" zu setzen ist.
Die Tage ziehen sich wie Kaugummi dahin, das Ausschlafen wird zum Selbstzweck, im Bett zu bleiben. Der Sportverein macht Fehlstriche auf der Liste.
Wie ist das möglich? Bei freier Zeiteinteilung keine Zeit mehr zu haben? Die Zeit verlockt zum Totschlagen - nicht nur die Zeit.
Die Briefkastenleerung wird zum täglichen Spannungsfeld, manchmal zum Horror. Wieder kommt eine Absage auf eine Bewerbung, auf eine der vielen, die man schon in die Welt geschickt hat. Bewerbungen, die profihaft durch Schulung vom Arbeitsamt - dem so genannten Bewerbungstraining, in das sich jeder neue Arbeitslose begeben muss - ausgearbeitet wurden. Aber die Firmen handeln sehr unorthodox, wenn sie Bewerbungen erhalten. Nach einer Liste von Kriterien werden die Bewerbungen, die als Massenandrang nach den Anzeigen in den jeweiligen Personalabteilungen eingehen, gesichtet und ins gute oder schlechte Töpfchen gelegt, wie weiland bei den Brüdern Grimm die Erbsen von Aschenputtel. Man möchte mitunter meinen, dass sogar Tauben dabei geholfen haben, denn wie kann es sonst sein, dass fähige Menschen noch nicht einmal die Chance eines Gesprächs erhalten?
Es hat vor allem etwas damit zu tun, dass den Firmen bis zu 600 Bewerbungsmappen in die Personalabteilung flattern, je nach Größe der Firma, versteht sich.
Hier ist wieder ein kleiner Exkurs angezeigt.
Es mag Menschen geben, die gradlinig von der Wiege bis zur Bahre ihren Weg beschreiten. Gestern mehr, heute weniger. Viele von den heute im Beruf stehenden Menschen haben noch ihren ehemaligen Ausbildungsberuf, wenn sie denn einen haben.
Das hat multiple Gründe. Da ist zum ersten das Berufsbild, welches sich ändert. Ein früher zum Schriftsetzer ausgebildeter Mensch kann heute damit keinen Blumentopf mehr gewinnen. Und selbst, wenn er mit der Technik Schritt gehalten haben mag: Es gibt Berufe, die fallen einfach weg, weil das Leben auf diesem Erdball - vor allem in den industrialisierten Ländern - sich ändert.
Aber auch, wer mit seinem Berufsbild keine Probleme hätte, mag dem, was er einst gelernt hat, überdrüssig sein; mag aus gesundheitlichen Gründen den einstigen Beruf nicht mehr ausüben können.
Wenn ein Mensch noch in der Lage ist, sich einem anderen Tätigkeitsfeld zuzuwenden, sollte er dies möglichst zügig tun. Je älter er ist, desto schwieriger wird es.
Die Auslegungen allerdings, wie Bewerbungen mit einem unterbrochenen Lebenslauf bei den Personalchefs ankommen, sind sehr unterschiedlich. Während der eine der Ansicht ist, es täte jedem gut, mal seine Nase in einen andren Beruf zu stecken, ist der nächste davon überzeugt, dass der Proband unzuverlässig ist.
Genau so verhält es sich mit häufigem Wechsel. Während in der einen Firma das Sammeln von Erfahrung als ein Pluspunkt gilt, wird in der nächsten Firma so ein Mensch von vornherein aussortiert, weil er nicht „standhaft" genug ist. Im letzteren Fall wird kaum hinterfragt, weshalb es zu den Wechseln gekommen ist (Karrierestreben z.B., Umzug, Familie, mehr Gehalt, bessere Arbeitswege etc.)
Während die eben genannten Dinge jedoch kaum endgültig zu einer lang andauernden Arbeitslosigkeit führen, haben Brüche im Lebenslauf durch häufige Lücken verheerende Folgen.
Nicht nur ältere Kunden des Arbeitsamtes weisen in ihren Biographien Lücken auf. Auch erheblich jüngere, vor allem bei geringer Schul- und Berufsausbildung, haben schon häufig eine Odyssee an Jobs hinter sich resp. Lücken, die aufzeigen, dass es längere Zeit keinen Job gegeben hat.
Lebensläufe lassen sich „schönen". Lücken lassen sich plausibel schließen. Abgesehen von einem guten Aufbau einer Bewerbung muss der Lebenslauf darstellen, dass zumindest das Arbeitsleben einigermaßen gradlinig verlaufen ist.
Es nützt nichts, dass jemand „aufrichtig" sein will und sich nicht scheut, die Lücken aufzuzeigen. Nur in ganz seltenen Fällen wird ein solcher Arbeitssuchender zu einem Gespräch eingeladen, was schon als die halbe Miete bezeichnet werden kann.
Die Unterbrechung von Schule und Ausbildung, von Arbeitsjahren und dem Leben an sich führt bei vielen Menschen dazu, auch in anderen Bereichen nicht am Ball zu bleiben. Aber es ist ein Trugschluss, dass manche meinen, dieses Leben wäre das einfachere. Heute hier und morgen dort kann zu einem Chaos führen, aus dem der Ausweg nicht mehr gefunden wird.
Wer heute seine Schule abbricht, hat morgen vielleicht keine Chance mehr, sie nachzuholen. Es ist eine Binsenweisheit, dass es mit zunehmendem Alter schwieriger wird, Neues aufzunehmen, vor allem, wenn das Denken nicht gefordert wird.
Langsam stirbst du, beginnst du nichts Neues.
Das mag auf den ersten Blick dem eben gesagten widersprechen, tut es aber nicht. Gemeint ist damit, dass die Forderung an einen selbst, sich weiter zu entwickeln, an erster Stelle stehen muss. Dann kann man auch zu Strohhalmen greifen, wenn der Ozean der Arbeitslosigkeit einen zu verschlingen droht.
Ein Mensch, der nie lernt, mit den eigenen Ressourcen umzugehen, der wird auf der Strecke bleiben und dessen Lebensbiographie - sei es nun die berufliche oder die private - wird zerrissen sein, wird ihm selbst irgendwann keinen Halt mehr bieten.
Natürlich kann es heutzutage jedem - von wenigen Ausnahmen abgesehen - geschehen, dass er seinen Job verliert. Wir wissen alle, dass die Politik und die Weltwirtschaft - sie gehören ja unwidersprochen zusammen - zu Umstrukturierungen führen können, die niemand auf lange Sicht vorher sieht.
Wird einer so aus seiner Bahn gerissen und ihm schwimmen die Felle davon, obwohl er sich fest im Sattel wähnte, kann dies zu Kurzschlusshandlungen führen. Das hier näher zu erläutern sprengt jedoch den Rahmen meines Referates.
In den wenigsten Fällen allerdings geht der Wunsch nach einem Nomaden-Leben im Beruf von dem arbeitenden Menschen selbst aus. Eher sind sie heute gezwungen, durch den Verlust des Arbeitsplatzes ihre Flexibiltät unter Beweis zu stellen.
Doch der Wunsch nach einem festen Arbeitsplatz, in einem festen Zuhause ist nach wie vor gegeben.
Eine Umfrage zu diesem Thema hat dieses Ergebnis gezeitigt:
Zitat:
Begriffe der sogenannten „Neuen Arbeitswelt" wie „Jobnomaden",
„Zeitpioniere", „Flache Hierarchien", Flexibilisierung und
„Work-Life-Balance" erweisen sich nach einer Repräsentativuntersuchung
des Hamburger BAT-Freizeit-Forschungsinstituts
als Mythen. Fast drei Viertel aller Berufstätigen wollen „arbeiten
wie ihre Eltern" - fest angestellt und mit geregeltem Feierabend.
Teilzeitarbeit wird vor allem im Zusammenhang mit erhöhtem
Leistungsdruck gesehen. Vier von Fünf Beschäftigten
geben an, dass in der Arbeitswelt Hierarchien wie früher bestehen.
Auch die häufig schwierige Vereinbarkeit von Beruf und
Familie wird durch Unternehmen nicht gefördert. Beschäftigte,
die versuchen auf Familienbelange Rücksicht zu nehmen,
werden häufig als arbeitsunlustig eingestuft.
Modell Wanderarbeiter wenig gefragt
Was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich wollen, sind geregelte Verhältnisse, also Festanstellungen und keine Zeit- oder freien Mitarbeiterverträge
Fast drei Viertel (71%) aller Berufstätigen geben unumwunden zu:
Auch im 21. Jahrhundert wollen sie „arbeiten wie ihre Eltern - fest angestellt
und mit geregeltem Feierabend."
Natürlich ist dies auch eine Generationenfrage. Mit zunehmendem Alter lässt die Lust an ungeregelten Arbeitszeiten und -verträgen verständlicherweise nach. Nach geregeltem
Feierabend rufen am lautesten die 40- bis 49-Jährigen (75%). Aber auch die jungen Leute im Alter von 18 bis 34 Jahren wollen lieber konventionell wie die Eltern arbeiten (63%) und können sich auch im 21. Jahrhundert für Flexibilität und Mobilität im Berufsleben (33%) deutlich weniger begeistern.
Wenden wir uns wieder der Gelben Ampel zu.
Bei der 20. Absage in Folge - vielleicht auch schon eher - beginnt der Arbeitslose, an sich zu zweifeln. Er fängt an, die geordnete Tagesstruktur hängen zu lassen. Ist er ein Familienvater, hat er es vermutlich in der Regel leichter. Er findet Trost bei den Seinen, die ihn immer wieder ermuntern, so sie ihm nicht die Schuld an der ganzen Misere geben.
Ist er allein stehend, wird es sehr schnell problematisch. Noch sind aber Freunde im Hintergrund und wenn er in einem guten privaten Netzwerk steckt, so mag es noch eine Weile dauern, ehe er den Tag nicht mehr nutzt.
Die böse Entwicklung der „Nebenwirkungen"
Negative „Veränderungen" treten nach einer langen Zeit der Arbeitslosigkeit auf. Die Grenze ist allerdings fließend. Hier wie auch anderswo sind Menschen in dieser Situation nicht über einen Kamm zu scheren. Mag auch sein, der eine oder andere „hält einfach länger durch", ein lebensbejahender Mensch mag noch eine Weile in Hoffnung auf bessere Zeiten in den Startlöchern stehen, immer gegenwärtig des Glücks eines neuen Arbeitsplatzes. Diese Einstellung kann auch dazu führen, dass es ihm tatsächlich gelingt, wieder Fuß zu fassen, denn eine positive Herangehensweise macht in der Regel auch einem selbst Mut.
Andere entwickeln multiple Probleme, die allesamt Hemmschuhe einer neuen beruflichen Chance sind.
Die Selbstorganisation funktioniert für einen gewissen Zeitraum, in dem aktive Planung noch im Vordergrund steht. Das morgendliche Aufstehen, die regelmäßigen Mahlzeiten, ein zeitiges Zubett-Gehen. Es bestehen dabei auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Frauen sind in der Regel über einen sehr viel längeren Zeitraum sozial eingebunden - Familie, Ehrenämter etc. - sie gehen mit ihren Problemen eher offensiv um, während Männer - man verzeihe mir den Vergleich - sich in dieser Situation mitunter zu Autisten entwickeln.
Die bei Mann und Frau eintretende Vernachlässigung des Alltags ist fließend. Nach und nach wird auf das äußere Erscheinungsbild kein größerer Wert mehr gelegt. Wozu morgens aufstehen, sich frisch anziehen? Wozu Sorgfalt auf die Kleidung legen? Womöglich zum Frisör gehen? Der kostet schließlich Geld. Die Umgangsformen lassen nach. Neben einer zunehmend unrealistischen Einschätzung der Umwelt ( - alle anderen sind Schuld an meiner Situation - ) vermindert sich die Konfliktfähigkeit. Auch die Fähigkeit, Freundschaften zu halten, leidet unter diesem Zustand. Neue Kontakte werden, wenn überhaupt, nur da aufgebaut, wo man sich unter seinesgleichen wähnt.
Der Freundeskreis verändert sich dementsprechend. Freunde von früher lassen sich nur noch selten sehen, und eine fatale Zusammengehörigkeit mit „neuen Freunden" greift Raum. Es ist schon so: (s. Schaubild 2)
Wenn ein Esel einen anderen Esel unterrichtet, kann aus keinem der beiden ein Professor werden. Zwar ist es gut und notwendig, sich mit seinesgleichen auszutauschen, aber fatal ist es dann, wenn die Ratschläge der neuen Freunde nicht konstruktiv sind, wenn die Nörgelei zum Selbstzweck wird. Die Situation des Arbeitslosen wird nicht besser, wenn die Schwarzmalerei Oberhand gewinnt. Es ist ja leider so, dass selbst auf der hintersten Bank im Park noch Neid aufkommt, weil es einer schaffen könnte, wieder auf einen grünen Ast zu kommen. Diesen Kumpan müsste man beim täglichen Treffen am U-Bahnhof, auf der Bank im Park oder sonst wo schmerzlich vermissen, wenn es um das Spendieren der nächsten Runde und das gegenseitige Gejammer geht.
Wir kennen es alle: Jemand, der versucht, das Rauchen aufzugeben, wird in der ersten Zeit immer ein paar nette „Freunde" haben, die ihm dann und wann noch mal - nur mal so - eine Zigarette anbieten. Und genau so verhält es sich mit Langzeitarbeitslosen unter sich. Da fällt schon mal eine abfällige Bemerkung, zu was man sich vom Arbeitsamt zwingen ließe, und dass man es doch ganz gut habe, so in den Tag zu leben.
Dieses und vieles mehr gehört zu den Stolpersteinen eines neu zu strukturierenden Lebens.
Krankheitssymptome stellen sich ein. Rückenprobleme sind in der Tat oft die Folge fehlender „Rückenstärke", eines fehlenden „Rückhalts" - im Übrigen nicht nur bei Arbeitslosen. Fakt ist, dass nahezu jeder 3. Arbeitslose über Rückenschmerzen klagt, obwohl es keinerlei medizinische Gründe dafür gibt.
Das Durchhängen führt dazu, dass die Muskulatur geschwächt wird und es ist tatsächlich so. Selbst, wenn die Energie noch aufgebracht wird, ein wenig Sport zu treiben, ist das nie genug. Es fehlt dabei auch häufig an Kontinuität, an Lust, an Geld (wobei Geld nur vorgeschoben ist, denn Laufen kostet z.B. nichts).
Neben diesen Problematiken ist das eingeknickte Selbstbewusstsein ein wesentlicher Hemmschuh. Ein Mensch, dem es täglich an Lob fehlt, der seine eigene Wertigkeit nicht mehr spürt, der immer wieder erfährt, dass er zu den Aussortierten gehört, mag auch nicht mehr an sich selbst glauben. Die Kreativität, das Bewusstsein, etwas zu können, was herausragend ist, nimmt proportional zur Dauer der Arbeitslosigkeit ab.
Die so genannten Arbeitstugenden wie Durchhalte-Vermögen, Teamgeist, Zuverlässigkeit und das allgemeine Arbeitsverhalten schwinden durch fehlende Übung.
Wir befinden uns immer noch in der Gelb-Phase, die durchaus eine längere Zeit andauern kann, bevor die Lage dramatischer wird und die Ampel auf ROT springt.
Es kann nämlich nun geschehen, dass dieser Mensch einen Ausgleich darin sieht, zu Medikamenten zu greifen, die ihm ein besseres Gefühl geben, sei es, die Schmerzen einzudämmen oder aber einfach besser drauf zu sein. Viele Arbeitslose kommen in die Situation, dass sie meinen, nur noch mit Schmerz- und/oder Schlafmitteln, schlimmer: mit so genannten Aufhellern ihr Leben zu ertragen. Haben sie einen guten Hausarzt, wird er ihnen das ausreden. Anders geht es schlecht aus. Unsere Gesundheitsreform baut nicht gerade darauf, diese Menschen auf einen guten Weg zu bringen. Wo es nämlich sofort angezeigt wäre, eine andere Behandlungsmethode zuzulassen, wird man immer eher zu preiswerten Medikamenten tendieren als Nägel mit Köpfen zu machen.
Ich bin mir darüber im Klaren, dass Arbeitslose, die bis hierher gekommen sind, weit mehr benötigen als nur die Wundermittel aus der Apotheke.
Und um noch eines draufzusetzen, bleibt es bei vielen noch nicht einmal bei einer Tablette. Andere Drogen wie Alkohol (der an erster Stelle), Zigaretten und der Konsum von Härterem führen häufig dazu, den Tag nun nicht mehr zu nutzen, sondern ihn um die Ecke zu bringen.
Was mit einem kleinen Aufmunterer begonnen hat, endet nicht selten im Entzug.
Ein Arbeitsloser in dieser Situation muss sich über seinen IST-Zustand ein klares Bild machen können, nur dann ist es ihm möglich, erstens eigene Ressourcen zu eruieren und zweitens eventuelle Hindernisse abzubauen, damit er ein bestimmtes Ziel erreichen kann.
In dieser roten Ampel-Phase hat ein Arbeitsloser nicht mehr viele Möglichkeiten, seinem Leben wieder einen besseren Verlauf zu geben.
Wenn die Einsicht vorhanden ist, dass nur er allein die Chance hat, wieder auf die Beine zu kommen (mit Hilfe eines gut gestrickten Netzwerkes), kann seine Biografie wieder Anschluss ans Leben finden.
Es stehen hier viele Wenns im Raum, denn es ist ein harter und steiniger Weg, der eine Menge Klippen bereit hält, an denen die Wünsche und Ziele, der aufgebrachte neue Mut und das Zugeben, dass es nicht gut gelaufen ist, zerschellen können.
Zu diesem Zeitpunkt ist es immens wichtig, dass alle Stellen des Netzwerkes (Familie, alte Freunde, das Arbeitsamt, die Fortbildungsorgane und nicht zuletzt womöglich gar alles, was mit der Gesundheit zusammen hängt, eng miteinander in Kontakt sind, koordiniert und zielorientiert dem Menschen beiseite stehen, so er mitmacht. Es gilt, sowohl mögliche Ressourcen als auch die Hemmnisse herauszuarbeiten, den IST-Zustand und das Ziel festzustellen. Von dieser erarbeiteten Null-Linie der Gegebenheiten an kann es wieder aufwärts gehen.
Die Mitwirkung des Arbeitslosen ist das A und O des Gelingens.
Niemand kann einem anderen die Motivation beibringen. Es kann demjenigen nur die Tür geöffnet werden. Durchgehen muss jeder selbst.