In St. Petersburg erreicht man seine Ziele locker mit Metro und Bussen - oder auch busähnlichen Straßenbahnen. Diese sind in der Regel gut besetzt und preiswert. Auch ich habe gern davon Gebrauch gemacht. Der Sprache nicht kundig, des Weges und auch des Zieles auf Russisch nicht, begab ich mich auf die abenteuerliche Fahrt, die - wie in allen Städten - an einer Haltestelle begann. Verständlich, dass ich auch die Zeittafel nicht entziffern konnte, aber um zur Eremitage zu gelangen - ein Muss während eines Aufenthalts in St. Petersburg - musste ich die Linie 7 nehmen. Stimmt nicht. Ich musste keineswegs. Ich hätte auch in Null-Komma-Nix mit der Metro das Ziel erreichen können, aber ich nutzte die Busfahrt gleichzeitig für eine kleine oberirdische Tour durch die Stadt. In der Metro sieht man nix, weil sie pausenlos unterirdisch fährt.
Dieser Bus fuhr regulär alle 20 Min., war mir gesagt worden. Abgesehen davon, dass er nicht alle 20 Min., sondern alle Nase lang kam und sich anscheinend an gar keinen Zeitplan hielt, war er dann pünktlich. Das scheint widersprüchlich zu sein, aber ich konnte genau zu dem Zeitpunkt in den Bus einsteigen, an dem ich an der Haltestelle wartete.
Ich wusste, dass es problematisch wird, einen Fahrschein zu kaufen. Anders als bei der Metro, die diese kleinen mit einem „M" verzierten Münzen schluckt, die für alle Strecken - solange man sich unter der Erde befindet - gelten, gab es hier im Bus sowohl einen Fahrer als auch eine Kondukteurin. Ja, genau. Diese Menschen mit einem Gerät um den Hals, welches immer „Klick-klick" macht und dann einen kleinen Zettel ausspuckt, der sich Fahrschein nennt. Aus selbigem Gerät fallen auch Münzen, so Wechselgeld anfällt. In den früheren Hamburger Straßenbahnen fanden sich diese Mitfahrer auch und wir Kinder haben immer gefragt, ob sie „Rollen" für uns haben - Restrollen der Fahrscheine. Lang ist's her und ich werde noch ausführen, weshalb es ein Manko ist, dass wir sie nicht mehr haben. Die Kondukteurin. Manchmal verkaufen auch die Busfahrer die Ticketts - ähnlich wie bei uns. Das spart bekanntlich Personal, wird aber - nachgefragt - nur auf Linien weiter außerhalb eingesetzt.
Ich stieg also in den Bus ein und der Fahrer deutete mir an, dass er keine Ticketts verkauft. Ich hatte also Glück und würde sogleich eine Kondukteurin kennenlernen, die erste in
Russland.
Eine Frau um die Mitte 50, robust und mit dienstverpflichter Jacke nebst Rock, hat die Neuzugestiegenen sofort entdeckt und kommt auf uns zu, wühlt sich von ihrem reservierten Platz durch die
stehende Menge, die nicht so prviligiert ist, einen Platz zu eigen zu haben. Ich meine, ich hätte ein paar Winkel am Ärmel entdeckt, aber das kann auch meiner Fantasie entsprungen sein. Ihr
Gesicht war so dienstverpflichtet wie ihre Jacke. Sie verzog keine Miene, als ich sagte „Eremitage". Nun denkt ja ein jeder, das ist verständlich, aber sie runzelte nur die Stirn. Ich wiederholte
meine Bitte und versuchte, die Betonung anders zu legen. Dann sie: „Ah, Eremitage" und sprach es genau so aus. Ich fragte: Wieviel? Und machte dabei ein Handzeichen von 10 oder 20. Sie gab ein
Zeichen zurück - wunderbar! - 20! Also wechselte ein 20-Rubel-Schein den Besitzer. ABER: Ich bekam - na? Klick-klick-klick - drei Rubel zurück. Zu schön. Und dann bekam ich noch ein
miniminiwinzig kleines Zettelchen: den Fahrschein. Dünn und fadenscheinig, so dass ich Mühe hatte, diesen kleinen Zettel ernstzunehmen und ihn meinem Tagebuch einzuverleiben. Aber es muss ja auch
nicht immer gleich ein DINA-5-Blatt sein mit bunten Zeichnungen und Aufrdruck, oder?
Nun kam ein weiteres Problem auf mich zu, welches zu lösen war. An welcher Haltestelle musste ich aussteigen, um das Ziel meiner Wünsche zu erreichen? Ich glaubte, ich könne sie bei Ankunft erkennen, aber sicher war ich mir nicht. So ein langes grünliches Gebäude mit Säulen musste es sein. Ich hatte es von draußen schon bei anderer Gelegenheit gesehen.
Dann wusste ich auch, dass die Fahrt einige Zeit in Anspruch nehmen würde und es musste über eine große Brücke gehen - über die Newa, um genau zu sein. Müde von den vielen Touristen, die alle zur Eremitage wollen, verstand die Kondukteurin nicht, dass ich sie bat, mir Bescheid zu geben.
Und dann geschah das, weshalb ich denke, dass Kondukteure hier auch wieder ihre Berechtigung hätten. An einer Haltestelle stiegen mehrere Menschen ein, unter anderem eine alte Frau, die sich mit Taschen und Beuteln den Weg nach drinnen schwer erkämpfte.
Die Kondukteurin sah sie sofort und schnell wie der Blitz hatte sie einen Jungen von 10 oder 12 Jahren aus seinem Sitz befördert. Dann rief sie:
„Babuschka!!!" Und vermutlich so etwas wie „Hier! Hier ist ein Platz für dich!"
Das ging in Windeseile und die alte Dame hatte umgehend ein Plätzchen, auf dem sie sich von den Anstrengungen ihrer Unternehmung an diesem Tage ausruhen konnte. Seit diesem Erlebnis stelle ich mir vor, was hier wohl geschehen wäre? Denn der Junge im Bus nahm das widerspruchslos hin. Ich zweifle daran, dass man so etwas auch hier erleben kann - und dann noch ohne Kondukteurin.
Um es nun kurz zu machen: Der Bus leerte sich nach und nach und auch ich konnte mich irgendwann setzen, immer konzentriert aus dem Fenster schauend, um nicht den Ausstieg zu verpassen.
Mir gegenüber saß ein Paar, welches ich nach kürzester Zeit als Deutsche identifizieren konnte. Nicht wegen ihres Aussehens, natürlich nicht. Aber sie sprachen miteinander Deutsch. Ich sprach sie an und erfuhr, dass auch sie in die Eremitage führen. Was hatte ich für ein Glück, denn die Frau sprach auch russisch und hatte sich mit der Kondukteurin verständigen können. Diese gab Bescheid, als wir an der richtigen Haltestelle waren und es sah dort genau so aus - grünlich mit Säulen.
Für die Eremitage habe ich ein „Sonderstreiflicht" geplant. Das ist sie schließlich wert.