Alles Theater!

Der Zuschauerraum vor der Freilichtbühne ist gedrängelt voll. 'Zig Augenpaare hängen gebannt an dem roten Samtvorhang, der sich demnächst – ganz bald – öffnen wird. Die Spannung hat nahezu ihren Zenit erreicht. Die Menge macht sich Luft und ruft die Protagonisten der Show vor den Vorhang.

Sie skandieren: „Kasper!!! Kasper!!!“

Einer weit hinten ruft: „Krokodil!!! Krokodil!!!“

Was geht eigentlich hinter den Kulissen vor, dass es so lange dauert? Dass einige schon die Rückerstattung des Eintrittsgeldes fordern?

In der Kulisse streiten sie sich. Einer schiebt den anderen vor.

„Du musst raus. Hör die Menge!“

„Ich will aber nicht!“

„Du hast gar keinen Willen zu haben. Du hast einen Vertrag und deshalb musst du raus. So war es abgemacht.“
„Mich hat doch gar keiner gefragt.“
„Wir haben aber abgestimmt. Heimlich. Auf kleinen Zetteln.“
„Mein Name stand gar nicht zur Debatte.“
„Meinst du vielleicht meiner?“
„Oder meiner?“
„Meiner KANN gar nicht darauf gestanden haben.“

„Und? Wieso nicht?“

 Upps! Verraten!

„Nun gib es schon zu. Du hast gemogelt.“

„Ich?“

„Ja, mit wem spreche ich denn gerade?“
„Ich und mogeln.“

 „Gib es ruhig zu. Du hast alle Zettel vertauscht, so dass dein Name nicht mehr gezogen werden konnte.“

„Hab ich nicht!“
„Hast du doch. Ich hab es gesehen.“

„Wer von euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein!“

„Nun komm du mit Sprüchen. Hier gibts gar keine Steine.“

„Und wenn ich es getan hätte?“

„Was?“
„Die Zettel vertauscht?“

„Willst du jetzt etwa beichten?“

„Nein, nein, keinesfalls. Aber wenn ich es getan hätte?“

„Nun, deshalb haben wir deinen Namen auf ALLE Zettel geschrieben, so dass es gar keinen anderen geben konnte.“
„Ich will aber nicht!“

„Wir reden im Kreis. Ich sagte es schon: Du musst.“

„Was bekomme ich dafür?“

„Du darfst dir einen eigenen Namen geben.“

„Im Ernst?“

„Neee, im Spaß! Nun mach schon, raus mit dir. Zeig dich.“

„Mir werden die Knie weich.“

„Du bekommst ein Paar neue Schuhe von uns.“

„Wirklich?“

„Sag mal, rede ich Latein?“

„Ja!“

„Nun werd aber nicht dreist.“

„Ich kann nicht!“

„Hab dich nicht so. Andere haben es vor dir auch geschafft. Über 260, um genau zu sein. Und einige davon hatten schlimmere Zeiten.“
„Zum Beispiel?“

„Denk an die Borgias.“

 „Das ist lange her.“

 „Oder an den Imperator.“

 „Ach, der. Der sah doch nur so aus.“

 „Na, dann kannst du von Glück sagen, dass du anders aussiehst.“

 „Besser?“

 „Ja, von mir aus auch besser. Du wirst den Menschen gefallen.“

 „Das sagst du doch nur so.“

 „Bestimmt nicht. Also – magst du einen Namen besonders?“

 „Ja....aber du wirst ihn nicht mögen.“

 „Um mich geht es jetzt nicht. Schnell, welcher Name?“

 „Podiceps cristatus“

 „Was?“

 „Podiceps cristatus.“

„Was soll das denn sein?“

 „Podiceps cristatus – der gemeine Haubentaucher.“

 „Ach, ich hatte schon gedacht.... wie bitte?“

„Ich habs dir gesagt – der Name wird dir nicht gefallen.“

„Hör mal, du kannst dich nicht nach einer Ente benennen,“

 „Und bitte, wieso nicht?“

 „Weil - weil - das geht nicht! Dein Name muss eine Würde ausdrücken.“

 „Hat der Haubentaucher etwa keine Würde?“

 „Aber...aber... klar hat er eine, aber nicht eine, die deiner Position hier entspricht.“

 "Was hast du gegen Haubentaucher?“

„Ich? Ich habe gar nichts gegen Haubentaucher, aber sie eignen sich nun mal nicht als Name für dich, grad jetzt.“

„Und weshalb bitte nicht?“

„Langsam verliere ich die Geduld. Dein Name muss die Leute demütig machen, sie müssen ihm Respekt zollen können.“

„Und das können sie bei dem Namen „Haubentaucher“ nicht?“

„Nein, vermutlich nicht.“

„Genau das ist eben die Krux unserer Zeit.“

„Was meinst du?“

„Demut gegenüber den anderen Lebewesen.“

„Jajajajajaaaaa – schon gut. Aber dann könntest du dich auch – zum Beispiel – äh, zum Beispiel … Pediculus humanus capitis nennen. Hahaha!“

„Die Kopflaus?“

„Genau.“

„Das ist eine brillante Idee. Kopflaus. Je kleiner, desto besser.“

„Nun mach aber mal einen Punkt.“

„Wer der Geringste unter euch ist, der ist wirklich groß.“

„Aber deine Stellung hier bei uns hat nichts, aber auch gar nichts mit einer Kopflaus zu.“

„Ich habs gewusst, alles leere Versprechungen. Ich geh nicht raus.“

„Hör mal. Nenn mir noch einen Namen und egal, welchen, den darfst du dann tragen.“

„Gut. Also Franz.“

„Franz?“

„Ja, Franz.“

„Jafranz?“

„Ohne Ja, nur Franz. Franz! Wenn ich schon allein entscheiden darf, dann Franz. Er steht auch für die Geringsten ein. Sogar für die Kopflaus. Nun steh auch zu deinem Wort.“

„O.k. Wir sind damit einverstanden. Aber nun raus. Die Menge will sonst ihr Geld zurück.“

„Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

„Raus!!!“

Die Menge draußen ruft immer lauter:

„Kasper!!!“ „Kasper!!!“

Der Vorhang hebt sich. Eine Gestalt in Frauenkleidern – ganz in Weiß, aber dem Vernehmen nach männlich – tritt nach vorn. Die Menge jubelt. Sie schmeißen die Arme hoch und einer aus der hintersten Reihe ruft:

„Vorsicht, Kasper! Das Krokodil!“

Aber da ist keines.

Nur ein paar weitere Männer in Frauenkleidern, die die Hände falten und Worte murmeln.

 'Endlich haben wir ihn soweit. War ein hartes Stück Arbeit dieses Mal. Nun können wir aufhören, viel Rauch um nichts zu machen.'

Wirklich, er sieht nicht aus wie der Imperator und sein Name ist auch annehmbar. Wenn schon, denn schon.

 

 

©Margret Silvester, 14. März 2013